Ein Erfahrungsbericht zur ERG2Nordseetour 2023

Im Sommer `22 haben mein Mitradler Mark und ich uns bei einer Alpenüberquerung kennengelernt, über unsere gemeinsame Liebe zum Radsport philosophiert und beschlossen: es muss ein Wiedersehen geben, gerne mit Rad. Im weiteren Verlauf des Abends – der ein oder andere Obstler war im Spiel – stand das Versprechen im Raum 2023 eine 300er zu fahren.

Im Januar kam von Mark der Link zur Anmeldung zur ERG Tour…Nöööö! Really? Jetzt echt? Und zack, angemeldet!

Zu mir mag ich kurz sagen, dass ich bis zum 40sten eher gemäßigt sportlich unterwegs war.
Dann bin ich über eine Volksdistanz beim Triathlon zum Radsport gekommen und seitdem infiziert…ein erstes, gebrauchtes RR kam ins Haus, dann das Reiserad, ein MTB, noch ein MTB und zu guter Letzt mein aktuelles RR. Den ein oder anderen Wettkampf und Event bin ich auch mitgefahren und hatte vor allem immer eins: viel Spaß.

Die längste Distanz, die ich allerdings bis dato fuhr, waren einmal 160 km im Rahmen einer RTF und das war gefühlte Lichtjahre her.

Also 333 km??? Doppelt so viel? 333 km sind vollkommen absurd…..absurd lang…..so absurd und nicht vorstellbar für mich, dass ich vorsichtshalber kaum jemanden in mein Vorhaben einweihte.

Ab März ins gezieltere Training eingestiegen, die Briefingmails der ERG zuerst lieber nur grob überflogen ( „klassische Vermeidungstaktik“), dann festgestellt, dass ich zum Einen in dieser Saison zum empfohlenen Zeitpunkt noch nicht mal an den 200 km gekratzt habe….grmpfz. Zum Anderen festgestellt, als Triathletin eher eingeschränkte Kompetenzen im „Gruppe fahren“ zu besitzen…Doppel – Grmpfz!

Akuter Handlungsbedarf, sofort!
Mark zu einer 150er Trainings RTF in Dormagen aktiviert, mit dem Ergebnis, dass einer von uns beiden die Tour als „aktive Regeneration“ verbuchen konnte….ich jedenfalls war es nicht ( erwähnte ich, dass ich manchmal Menschen hasse?!).

Weiterhin absurd und nicht vorstellbar, das Ganze…aber jetzt wollte ich das Ding umso mehr durchziehen! Unbedingt!

Also weiter trainiert und 2 Wochen vor Termin alleine 205 km gefahren und festgestellt: „geht doch ganz gut“….leiser Optimismus machte sich breit.

Und so stand ich dann am 03.06.23 mit den restlichen Radlern um 3.00 morgens in der Radmosphäre, Ruhepuls geschätzt über 90, Frühstück brachte ich kaum runter.

Es ging in einem ziemlich zügigen Tempo los, der erste „Auffahrunfall“ auf mein Hinterrad nach einem gefühlten Kilometer hat nicht zu meiner Entspannung beigetragen. Puls bei 140.
Das anfängliche Einordnen in den hinteren Teil der Gruppe erwiess sich als Fehler („Lernen durch Schmerz“), ich musste nach Ampelstopps und Abbiegemanövern ordentlich ackern, um wieder an die Gruppe ranfahren zu können. Nach der ersten halben Stunde war ich schon ordentlich durch und dachte „was zur Hölle machste eigentlich hier?“…..ernsthafte Zweifel es überhaupt bis zur ersten Verpflegung zu schaffen.

Dem geschulten Auge von Guide Peter war es zu verdanken, dass ich weiter vorne in der Gruppe platziert wurde, und dort nicht nur dranbleiben konnte, sondern meinen Puls auch mal wieder in moderate Bereiche runterbringen konnte.

Erste Verpflegung gab es dann am schönen Schloß Raesfeld ….und die kam genau richtig: Snickers, Brote, Eier und die schönen ERG Tassen haben mir das erste zufriedene Grinsen des Tages ins Gesicht gezaubert.

Es ging dann zeitnah weiter und mit den ruhigen Landstraßen wurde auch das Fahren in der Gruppe gleichmäßiger und deutlich entspannter. Die nächsten Stunden bis zur 2. Verpflegungsstelle vergingen wie im Fluge und waren sehr angenehm zu fahren.

In Gronau hatte die Crew sich nicht lumpen lassen und von Schmalzbroten über Rohkost bis hin zu Nussecken mächtig aufgetischt….zu meiner Freude wurden die Temperaturen nun auch so warm, dass man sich entkleiden konnte und die Sonnenmilch Ihren ersten Einsatz fand….herrlich.

Ab dort stand nun eine lange nächste Etappe an, ca. 100 km bis zur nächsten Verpflegung…ich kann nur sagen: sehr schön und kurzweilig, in jeder Hinsicht.
Tolle Landschaft, glatter Asphalt, mega Wetter.
Durch das Wechseln der Guides von vorne nach hinten und umgekehrt bot sich immer wieder die Möglichkeit zu einem kleinen Austausch, ebenso mit den anderen Mitfahrern. Das Tempo der Gruppe war weiterhin hoch, aber es hatte sich ein gewisser Rhythmus eingestellt und jeder hat so seine Position gefunden. Ich war inzwischen auch ganz zufrieden und fühlte mich nach den anfänglichen Startschwierigkeiten gut angekommen!

Zum Mittag im Nirgendwo gab es dann eine längere Pause von 30 min. wo wir ordentliche Energie in Form von Suppe und allerlei anderen Köstlichkeiten zu uns nehmen konnten. Auch hier wieder exorbitant gute Verpflegung, warme Worte der Crew, aufmunterndes Lachen und die erste Vorahnung, dass 333 km doch nicht ganz so absurd sind.

Mit jedem Start nach Pause, so lernte ich, muss sich die Gruppe und damit die Position in Selbiger wiederfinden, aber das ging dann auch recht schnell. Der Gegenwind wurde nervig und Mark bot immer wieder Windschatten an…was ich gerne annahm….ich wollte schließlich vermeiden, dass am Ende des Tages auf seinem Garmin wieder nur „ aktive Regeneration“ stand. So konnten wir uns gut über die nächsten 80 km retten, singend, lachend, schweigend!

Die letzte Verpflegungsstelle kam und zumindest alle Neulinge hatten – wie ich – spätestens zu dem Zeitpunkt die Grenze „soweit bin ich noch nie gefahren“ überschritten….ein krasses Gefühl.
Das Verpflegungsteam hat erneut nochmal rausgehauen, was ging, es war ein Fest Kuchen, Melone, Mettwurst, Nussecken, Weingummis und Anderes in beliebiger Reihenfolge in sich reinzustopfen….alleine für`s Essen hat es sich schon gelohnt so weit zu fahren.

„Komm, ca. 50 km noch, das wird doch zu schaffen sein, oder?“

Ich hatte mittlerweile jegliches Zeitgefühl verloren, keine Ahnung, wann wir wieder los sind, war ja auch egal, weil das gemeinsame Ziel feststand. Insgesamt fühlte ich mich zu dem Zeitpunkt körperlich noch halbwegs fit, hatte aber mit zunehmenden Kilometern in den Beinen das Anfangsproblem, dass mir das Aufschließen an die Gruppe schwerfiel, wenn es mal etwas auseinander riss.

Aber – und das macht für mich Sport aus – es gab immer wieder freundliche Angebote innerhalb der Gruppe im Windschatten zu fahren, was mich sehr gefreut hat. Und so sind wir weiterhin ziemlich zügig dem Strand von Bensersiel nähergekommen.

Der Deich rückte zum ersten Mal im unser Sichtfeld und das hat mich echt gerührt: Herz offen, Kopf leer, Grinsen im Gesicht!

Dann auf einmal der Zieleinlauf… Auffahrt auf den Strand, plötzlich war es geschafft. Meine Garmin zeigte dort genau 333, 2 km an und hat sich dann mit leerem Akku direkt verabschiedet – es hätte nicht besser passen können.

Im Ziel ebenfalls unsere Crew, die uns gut gelaunt, mit Medaillen und Kaltgetränken empfing.

Das Gefühl das Rad in der schon tiefstehenden Sonne auf den Strand zu schieben, durchzuatmen und zu realisieren, was ich da grad eben geschafft habe……mit Geld nicht zu bezahlen!  333 absurde Kilometer! Ein fast 27er Schnitt! Wahnsinn! Ein rundherum perfekter Tag!!!

 

Was bleibt von einem solchen Tag?

  • das gute Gefühl, das ich vieles schaffen kann, wenn ich es möchte. Meistens auch mehr, als ich mir vorstellen kann.
  • das es unglaublich wertvoll ist, sich aus der eigenen Komfortzone rauszubewegen und sich auf Neues, Unbekanntes und augenscheinlich total Verrücktes einzulassen….ich habe es auch an diesem Tag nicht bereut.
  • Das man sich vom Kopf her nach solchen Aktionen meist 20 Jahre jünger fühlt, als der Rest des Körpers😉
  • Und zu guter Letzt: Dass das Erlebnis nicht so intensiv und wunderbar gewesen wäre, wenn es nicht die Menschen gäbe, die mit Herzblut hinter solchen Veranstaltungen stehen und sich in diesem Fall gemeinsam mit 40 „Bekloppten“ ein ganzes WE um die Ohren schlagen.

 

Mein Dank gilt daher nochmal ganz besonders

  • der ERG, die die Tour als Verein ausgerichtet hat
  • den Vereinsmitgliedern, die sich mit Essensspenden eingebracht haben
  • der Begleitcrew, die mit Lachen, Zuhören, Organisieren und immer vor Ort sein eine unglaublich geile Eventverpflegung und -betreuung auf die Beine gestellt haben
  • und – fetten Applaus – natürlich unseren hervorragenden Guides Jan, Carsten,  Peter, Lars und Tobias…..Ihr habt super und sehr charmant abgeliefert! Richtig guter Job in jeder Hinsicht, ich habe mich optimal bei Euch aufgehoben gefühlt und – das Beste – ich wäre auch noch 100 km mit Euch weitergefahren, wenn das die Aufgabe des Tages gewesen wäre 😉.

 

Fazit: Das war sicher nicht meine letzte Langstrecke!

Ganz herzliche, sportliche und angefixte Grüße

Annette

Annette glücklich im Ziel. Fotocredits: Isabel Heckmann